Es bleibt wie gehabt alles anders.
Spielfilme aus aller Welt, Dokumentarfilme aus Deutschland und Europa, ein buntes Programm aus Kinder- und Jugendfilmen, die gewohnten Programmblöcke mit neuen Kurzfilmen und die Publikumsmagneten "Kammerflimmern" und "Die lange Nacht der Selbstgedrehten" - auf den ersten Blick setzt das Programm des 31. Internationalen Filmwochenendes auf die bewährten Programmpunkte. Und doch sind im Detail behutsame Veränderungen und neue Akzente
des Festivalprogramms ersichtlich.
Am augenfälligsten ist zunächst, das im CINEMAXX ein dritter Saal einbezogen ist und sich die insgesamt 67 Programmpunkte (Stand bei Redaktionsschluss) jetzt auf je 3 Säle in CORSO und CINEMAXX verteilen. Das bietet einerseits den Programmplanern mehr Spielraum für den Zweiteinsatz attraktiver Filme und die Möglichkeit ausverkaufte Filme zu wiederholen und lässt anderseits den Zuschauern mehr Zeit für den Kinowechsel.
Am Programm selbst fällt zunächst die Zahl von 12 Dokumentarfilmen auf, welche die in den letzten Jahren gewachsene Bedeutung des Genres widerspiegelt. Freuen darf man sich dabei auch auf zwei Würzburger Produktionen: Kerstin Stutterheim und Nils Bolbrinker präsentieren "Die Thuranos - Leben auf dem Drahtseil" über das Leben einer Artistenfamilie und der Regisseur Andreas Büettner zeigt in Deutscher Erstaufführung "Schoschana - Und
ich? Ich bin eine Sabres...", die filmische Biographie der in Würzburg lebenden Kosmopolitin Soschana Segré-Beck. Dem Würzburger Dokumentaristen und Mitbegründer der Filminitiative und des Festivals Norbert Westenrieder widmet das Festival in diesem Jahr eine Werkschau, die mehr als deutlich macht, wie weit aktuelle Historienfilme hinter bereits einmal erreichte filmische und inhaltliche Standards zurückgefallen sind. Eine Werkschau mit Experimental- und Kurzfilmen ist auch dem aus Unterfranken stammenden
und heute in Cottbus lebenden Filmemacher Ralf Schuster gewidmet, der Filme aus verschiedenen Werkphasen zwischen 1984 und 2004 vorstellen wird.
Bestens bekannt in Würzburg ist auch Douglas Wolfsperger, der vor zwei Jahren mit "Bellaria" den gefeierten Eröffnungsfilm beitrug. In diesem Jahr stellt er "Blutritter" vor, eine außerordentlich unterhaltsame, berührende und oft sehr komische Dokumentation über Glauben und Gott, Liebe und Leid, Tod und Teufel, die ihre Uraufführung im letzten August beim Filmfestival in Locarno hatte. Auch "Rotweinrock und Lammfellmantel"
von Jan Gabbert und Hannah Metten und "Um die Wurst" von Dorothea Grießbach und Silke Fischer blicken - ganz im Stil von "Schotter wie Heu" auf die Absurditäten und Kuriositäten des bundesdeutschen Alltags.
Deutlich ernster sind "Darwin´s Nightmare von Hubert Sauper über die ökologische Situation in Ostafrika und "S 21 - La Machine de Mort Khmère Rouge" von Rithy Panh über die Folter- und Tötungsmaschine Tuol Seng in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh
Die dokumentarische Brücke zum Spielfilm-Programmpunkt Israel/Palästina schlägt "Arutzim shel za´am" (Channels of Rage) des israelischen Regisseurs Anat Halachmi. Vervollständigt wird dieser kleine Schwerpunkt durch die Produktionen "James Journey to Jerusalem" von Ra`anan Alexandrowicz (Israel, 2003) und "Rana´s Wedding" (Palästina, 2002) und den furiosen Jugendfilm "Bonjour Monsieur Shlomi" von Shemi
Zarhin
(Israel, 2003).
Eröffnet wird das Festival am 20. Januar mit einem Spielfilm aus belgischer Produktion, die zeitgleich Deutschlandstart hat: "25 degrès en hiver" ist eine Komödie von Stephane Vuillet über das Thema Emigration, die auf der Berlinale für Furore gesorgt hat. Dazu kommen als weitere französische Produktionen "La petite Lili" (inspiriert vom Tschechow-Stück "Die Möwe") von Claude Miller und "Exils" von Tony
Gatlif,
sowie der neue Film von einem der kreativsten und erfolgreichsten europäischen Filmemacher, Emir Kusturica mit "Zivot je cudo" (Das Leben ist ein Wunder), erneut höchst skurril und mit schrägem Humor und mit überbordender Phantasie und grenzenloser Lebensfreude glänzend.
Aus dem englischen Sprachraum kommen mit Timothy Lyns "Sean and Shane", Jim Sheridans "In America" und Kenny Glenaans "Yasmin" drei neue Produktion, während das Filmland Italien in diesem Jahr nur mit einem Streifen vertreten ist, mit "Dopo mezzanotte" von Davide Ferrario. Das nicht erst seit Fatih Akins Erfolgsfilm "Gegen die Wand" gewachsene Interesse an der Türkei greift ein Block mit drei
aktuellen
Spielfilmen von Bilge Ceylan und Reis Celik aus dem Land am Bosporus auf. Gleich fünf neue Filme kommen aus Spanien und Südamerika, darunter "el traje" von Alberto Rodriguez.
Mit vier Klassikern des afrikanischen Kinos - darunter dem legendären "Guelwaar" von Sembene Ousmane - wagt das Festival einen anderen Blick auf den Kontinent, der in Würzburg meist nur mit Musik in Verbindung gebracht wird. Gezeigt werden Filme aus dem Senegal, aus Ghana und aus Burkina Faso aus den Jahren 1983 bis 2003.
Matthias Schweighöfer und Jessica Schwarz sind die Hauptdarsteller in der deutschen Produktion "Kammerflimmern" von Hendrik Hölzemann, einem einfühlsamen Drama aus der Mitte des Lebens. Nicolai Albrecht hat "Mitfahrer" im Gepäck, dem Eröffnungsfilm der Reihe "Perspektive deutsches Kino" bei der letztjährigen Berlinale. Ebenfalls anwesend ist Sülbiye Günar, die ihre deutsch-türkische Co-Produktion "Saniyes Lust"
über eine moderne türkischstämmige junge Frau vorstellt. Dazu kommt der bereits erfolgreich in etlichen Großstädten gezeigte Streifen "Pipermint - das Leben, möglicherweise" von Nicole-Nadine Deppé mit Meret Becker als eine der Hauptdarstellerinnen.
Womit der Bogen zum Musikfilm- und dem wiederbelebten Nacht-Programm gespannt wäre: so wird die aktuelle Dokumentation "Accordion Tribe" von Stefan Schwietert mit einer Live-Performance von zwei der im Film porträtierten Akkordeonisten von Weltrang (Lars Hollmer und Bratko Bibic) erweitert. Dazu kommt die Sonderveranstaltung "Tanzende Bilder" (Veranstaltungsort: Luisengarten), mit experimentellen deutschen Musikvideos aus
den Jahren
1998-2003 aus dem Archiv der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, die anschließend nahtlos von den vom Bayerischen Rundfunk bekannten Zündfunk-DJs Achim Bogdan und Roderich Fabian in eine Filmwochenende-Party überführt wird.
Für die Late-Night-Schiene standen bei Redaktionsschluss bisher "Die Reise ins Glück" von Wenzel Storch und der japanische Klassiker "Shurayukihime" (Lady Snowblood) von Tujita Toshiya fest.
Manfred Kunz
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